Leben in San Francisco: Dinge, die mich überrascht haben

Das Essen

Als ich hier zum ersten Mal als Tourist im Spätsommer zu Besuch war, war ich begeistert von den kulinarischen Optionen und dem frischen Gemüse auf dem Farmers’ Market. Lila Kartoffeln und Karotten hatte ich bis dato noch nie gesehen. Daher habe ichg so gar nicht erwartet, dass ich das Essen in Deutschland, und sogar Schweden vermissen würde als wir dann dauerhaft hier wohnten. Viele Sachen, die ich gerne esse, gibt es in SF nicht – oder sie sind schwer zu bekommen und extem teuer: Obst- und Gemüsesorten, wie Kohlrabi, Weißer Spargel, einige Kartoffelnsorten, Zwetschgen. Quinoa, Bulgur, Buchweizen, Dinkel, Roggen, Amaranth. Müslis, v.a. Schokomüsli. Erfrischungsgetränke jenseits von Coke (Bionade, Club Mate, alkoholfreie Biermischgetränke). Verschiedene Mehlsorten und Mischungen. Weißes Mandelmus und Haselnussmus. Die Fülle an vegetarischen und veganen Aufstrichen und Würsten, die es z.B. bei DM gibt. Und natürlich Schokolade…Essen gehen ist außerdem extrem teuer, so dass Preis-Leistung (die mir als Deutsche immer wichtig ist…) nicht so richtig passt (auch wenn es hier schon gute Restaurants gibt, v.a. Asiatisch und Mexikanisch).

Das Wetter

San Francisco hat ein wirklich sehr spezielles Klima in Kalifornien. Es wird zwar im Winter nicht wirklich kalt, aber den Rest des Jahres auch nicht sehr warm. Juli bis August ist es eher kühl aufgrund des Nebels der Nachmittags vom Pazifik hereinzieht. Der wärmsten Tage sind im September und Oktober. Die Sonne ist sehr intensiv, aber die Luft ist nicht so warm, außerdem weht meist eine kräftige, frische Briese. Überhaupt muss man sich immer in Schichten anziehen, denn in der Sonne ist es oft sehr warm, im Schatten hingegen sehr kühl. Innerhalb von San Francisco variieren die Temperaturen und der Sonnenschein auch extrem. Morgens kann in Sunset dicker Nebel bei 15 Grad Celsius an das schottische Hochland erinnern, während ein paar Kilimeter weiter über den Berg in Noe Valley blauer Himmel mit Sonnenschein bei 20 Grad und mehr herrscht. Ich vermisse außerdem richtig warme Sommertage, und auch laue Abende, denn Abends wird es selbst an warmen Tagen immer kühl. Von Kalifornischen Hitzewellen hören wir immer nur aus den Nachrichten.

Die Leute

Obwohl ich eher introvertiert bin liebe ich Smalltalk. Für einen lockeren Schnack mit Nachbarn oder im Supermarkt bin ich absolut zu haben. Es sorgt für eine angenehme, lockere Grundstimmung. Überrascht war ich dann jedoch, als ich anfangs auf dem Spielplatz immer die einzige war, die Leute angequatscht hat (weil ich ja auch Leuten kennenlernen wollte). Es kam so wenig zurück dass ich irgendwann aufgegeben habe. In 3 Jahren habe ich tatsächlich nur eine Familie auf dem Spielplatz kennengelernt, und die war Deutsch. Auch auf der Arbeit wird kaum gequatscht. Es gibt keine Kaffeepausen (wie in Schweden), und Mittagessen wird meist beim Arbeiten vorm Bildschirm “genossen”. Meistens bin ich diejenige, die Gespräche initiiert. Nicht mal bei den Meetings (wo ja wirklich unterschiedlichste Leute zusammenkommen, nicht nur Architekten-Nerds) wird Smalltalk betrieben, sondern gleich in Medias Res gesprungen. Liegt es an Zoom und der Pandemie? Oder habe ich einfach Pech mit den Leuten, die ich treffe? Oder ist San Francisco so speziell, weil es soviele “Techies” und auch Ausländer anzieht, die mit Smalltalk nicht soviel am Hut haben?

Die Aktivitäten

San Francisco ist eine wunderbare Urlaubsdestination. Bestes Wetter (wenn auch kühl), exotisch, aber nicht zu sehr, faszinierend mit der Vielfalt an Kulturen, dramatische Landschaften in und um die Stadt. Als Familie mit kleinen Kindern finde ich die Stadt jedoch relativ langweilig. Viele Attraktionen sind weit weg (z.B. 3-5h Fahrt nach Yosemite oder Lake Tahoe, was mit kleinen Kindern nicht besonders entspannend ist). Attraktionen sind meist sehr teuer. z.B. Academy of Sciences kostet selbst für 3 Jährige um die $30. Children’s Discovery Museum kostet schon für Babys $15. Familienermäßigung gibt es keine. Es gibt kaum öffentliche Schwimmbäder in San Francisco (im Vergleich zu Deutschland sind die paar auch echt enttäuschend). Trotz nahezu idealem Klima gibt es nur ein öffentliches Freibad. Das milde Klima und die vielen Sonnentage machen es auf der anderen Seite einfach, viel Zeit draußen auf einem der vielen Spielplätze und Parks zu verbringen, die von überall innnerhalb von 15 Min. zu Fuß zu erreichen sind.

Work-Life-Balance

Ich habe auf dem Papier 10 Tage Urlaub, 9 bezahlte Feiertage und max. 40 Krankenstunden, die ansammeln kann. Das klingt erstmal nicht so toll und ist auch eine Quelle von ständiger Unzufriedenheit von mir. Nach 2 Jahren USA waren wir nur einmal 3 Tage im Urlaub: in Lake Tahoe. Wir kamen Freitag um 18 Uhr nach 6h Fahrt an, und fuhren am Sonntag um 11 Uhr morgens wieder zurück. Im dritten Jahr verbrachten wir unseren Jahresurlaub in Deutschland. Von Kalifornien haben wir daher kaum etwas gesehen, was weiter war als 1-2 Stunden Autofahrt entfernt war. Das war sicher auch pandemiebedingt, aber mit 2 Wochen Urlaub pro Jahr kommt man einfach nicht weit. Viele Amerikaner in akademischen Berufen bekommen jedoch mehr Urlaub. 3-4 Wochen scheint mittlerweile eher Standard zu sein, was bei Architekten jedoch noch nicht angekommen ist. Wenn man ein geschätzter Mitarbeiter ist, gibt es auch Raum für Verhandlung. Unbezahlter Urlaub ist ggf. eine Option, oder Remote work (was ich im Sommer macht habe. 2 Wochen Remote arbeiten aus Deutschland aus, 2 Wochen Urlaub). Auch vor- oder nacharbeiten kann eine Option sein, oder notfalls unbezahlten Urlaub nehmen. Wir im Büro haben auch einen Freitag im Monat frei. Allerdings wird erwartet, dass man die Stunden vorarbeitet, man kriegt diesen Tag also nicht geschenkt. Da mir das selten gelingt, nehme ich diesen so gut wie nie frei, aber zumindest sind das dann ziemlich entspannte Arbeitstage.

Genauso flexibel wie Urlaub wird Krankheit gehandhabt. Ist man krank aber hat keine Krankenstunden mehr kann man oft von Zuhause arbeiten (so gut man eben kann). Ich weiß nicht wieviele Wochen ich dieses Jahr schon von Zuhause gearbeitet habe weil die Kinder oder ich kank waren (oder die Kita zu war). Solange man zumindest ein paar Meetings mitmacht und Emails beantwortet schien das für meine Chefin ok zu sein. Ich habe dann einen Großteil der Arbeit Nachts nachgeholt, wodurch ich weniger Krankenstunden verbrauchen musste. Das klingt anstregend, und war es auch. Aber ich glaube dass das in jedem Job, in dem man Verantwortung und Deadlines hat, so wäre. Selbst in Deutschland, und auch in Schweden. Hier kann einen zwar keiner feuern wenn man ständig krank ist, aber man wird wahrscheinlich auch nicht befördert wenn man die Erwartungen nicht erfüllt. Insgesamt erscheint mir in USA alles weniger formalisiert zu sein. Wenn man eine gute Beziehung zu seinen Vorgesetzten pflegt und gute Arbeit leistet schaut keiner genau auf die Stunden (obwohl es in meiner Branche durchaus immer um Stunden geht). Ich hole z.B. die Kinder ein paar mal die Woche ab und muss dann früher los, aber das ist auch kein Problem solange ich die Deadlines einhalte (was gelegentlich Arbeits nachts oder am Wochenende erfordert) und meine Chefin insgesamt zufrieden ist. Diese Flexibilität und Vertrauen hat meine Lebensqualität und mein Stressempfinden trotz des vielen Arbeitens enorm verbessert.

Überrascht hat es mich auch, dass es in San Francisco sogar bezahlte Elternzeit gibt, und zwar für beide Eltern je 8 Wochen (Plus weitere 6 Wochen für die Mutter aufgrund der Geburt). Diese wird vom Staat bezahlt und muss von größeren Firmen zudem aufgestockt werden. Bei kleinen Firmen ist weder der Arbeitsplatz gesichert noch bekommt man zusätzliches Geld. Auch hier gilt jedoch wieder, dass man individuell verhandeln kann. Meine Chefin war z.B. einverstanden dass ich 6 Monate Elternzeit nehmen wollte (die sie allerdings als kleine Firma auch nicht bezahlen musste).

Insgesamt wird in USA auch jeden Fall viel gearbeitet (durchschnittlich mehr als in Deutschland), und nicht immer besonders effizient. Emails werden auch gerne im Urlaub, am Wochenende oder nach “Feierabend” beantwortet. Urlaub, der länger als 1 Woche geht, wird oft mit schlechten Gewissen angetreten. Man bekommt Abwesenheitsnachrichten wenn Leute zwei Tage nicht im Büro sind. Bezüglich Work-Life Balance habe ich mit meinem deutschten Hintergrund und meiner Erfahrung in Schweden also gemischte Gefühle. Einerseits bin ich positiv überrascht, dass wir selbst mit zwei kleinen Kindern dank hoher Flexibilität beide Vollzeit in anspruchsvollen Jobs arbeiten können, und sich Stress und Überstunden in Grenzen halten. Dank super Betreuung haben wir auch keinerlei schlechtes Gewissen unsere beiden Kinder bis in den späten Nachmittag in der Betreuung zu lassen. Im Gegenteil – wir denken sie haben dort sehr viel Spaß und würden was verpassen, wenn sie kürzer bleiben würden. Anderseits geht mir die Arbeitskultur, die Arbeiten über alles andere stellt, phasenweise doch ziemlich auf die Nerven. Mein Fazit ist jedoch, dass Work-Life-Balance von viel mehr Faktoren abhängt als den Urlaubstagen oder Arbeitsstunden pro Woche, und dass vieles auch weniger streng ist als es auf dem ersten Blick erscheint. Am Ende zählen doch eher die Ergebnisse, und wenn man gute Arbeit leistet, wird das auch belohnt (nicht nur mit Geld, sondern auch mit Freiheiten).

Lebenshaltungskosten

Wir wussten dass SF eine der teuersten Städte der USA sind. Dass es jedoch so teuer sein würde hat uns doch überrascht. Natürlich haben wir im Vorfeld sehr viel recherchiert, was wieviel kosten würde. In der Realität sind diese Kosten jedoch meistens viel höher. Neben Sales Tax kommt oft noch Tip obendrauf (mittlerweile scheint selbst bei keinerlei Service 15% erwartet zu werden), oder es werden hohe Spenden erwartet (z.B. in der Preschool). Man muss oft mit viel Geld sich “Optionen” erkaufen (z.B. einen Preschool Platz), oder Backups bezahlen. Viele Preise sind total intransparent (z.B. Kosten für Arztbesuche). Für durchschnittliche Qualität muss man Premium-Preise bezahlen. Da das soziale Netz sehr eingeschränkt ist muss man für vieles Selbst vorsorgen (Rente, Krankheit, Elternzeit, Arbeitslosigkeit etc.) Wir sind auch nach 3 Jahren noch fasziniert davon, dass wir trotz sehr guter Gehälter und wahrlich nicht besonders extravaganten Lebenstiles kaum Geld sparen.

Kinder sind ein Statussymbol

In Deutschland oder Schweden macht es finanziell nicht soviel Unterschied, ob man kein Kind hat oder gleich ein paar Kinder. Natürlich braucht man eine größere Wohnung als wenn man nur Single oder ein Paar ist, und man muss mehr Essen kaufen, braucht Klamotten, Spielsachen, gibt mehr für Urlaub aus etc. In San Francisco (und USA allgemein) macht es jedoch einen riesen Unterschied ob man kein Kind hat, oder ein, zwei oder gar drei Kinder. Kinderbetreuung sowie Wohnraum sind extrem teuer. Auch Freizeitaktivitäten können sehr teuer werden.Anders als in Deutschland gibt auch kaum Ermäßigungen für Kinder bei Eintritten, oder sowas wie Familienkarten. Auch Sportvereine, die günstige Freizeitbeschäftigung ermöglichen, gibt es kaum. Während man daher als Paar ohne Kinder mit z.B. $7000 pro Monat (ca. $120 000 pro Jahr brutto Haushaltseinkommen) relativ sorglos leben kann kann, braucht man mit zwei kleinen Kindern plötzlich mehr als das Doppelte um den gleichen Lebensstandard zu halten. Drei Kinder zu haben ist hier daher ein ziemliches Statussymbol (es sei denn man hat eine Großfamilie vor Ort, die bei Kinderbetreuung helfen kann).

Julia Schütz